Sterben

Filmkunst 66, Berlin 07.07.24

Hochkant im Handyvideo-Stil ein Kleinkind, „Man muss immer auf sein Herz hören“, und so, klingt lieb, aber auch ein bisschen sehr nach Lebenscoach. Die Credits sehr kurz gefasst als Signaturen auf einem Gemälde: Achtung Kunstwerk. Obwohl, es sind Fingerfarben. Im gleichen Stil dann auch Kapitelüberschriften. Das war es dann aber erst mal mit fröhlich und distanziert.

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Erstes Kapitel, „Lissy Lunies“. Corinna Harfouch sitzt am Boden, eingeschissen. Die Nachbarin ruft rein, so gehe das ja nicht weiter, ihr Mann sei schon wieder zu ihr hochgekommen. Der (Gerd, Hans-Uwe Bauer) schlurft zurück, fast nackt. So kann das nicht weitergehen, nein. Das wird ein Martyrium. Sterben weiterlesen

The Zone of Interest

Kant Kino 3, Berlin 25.06.2024

Schwarzblende, Tonspur, Kakophonie, unangenehme Geräusche. Dann erst der Blick auf eine Familienidylle beim Badeausflug, ein Gegenbild, das auf den ersten Blick so gar nichts zu tun hat mit dem, was man gerade gehört hat. Vom ersten Moment an verweist „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer auf eine Realität, die er nicht abbildet. Auf die Verdrängung, die die von Sandra Hüller in gewohnter Eindringlichkeit gespielte Kommandeursgattin anscheinend ungerührt aufbringen kann. Die ihrer Mutter (Imogen Kogge) nicht gelingt, die erst von Stolz erfüllt ist über den sozialen Aufstieg der Tochter und bewundert, wie schön sie es da haben, im Haus und Garten direkt neben der Lagermauer, nachts aber von der nicht auszusperrenden Geräuschkulisse gepeinigt und zur fluchtartigen Abreise getrieben wird. The Zone of Interest weiterlesen

Neue Beiträge

Ich werde nach langer Pause hier wieder neue Notizen hineinschreiben. Nur für mich zunächst mal. Ist ja eigentlich eh immer nur für mich gewesen. Wenn jemand mitliest, wird es schon nicht so schlimm sein. Immer schon der Zwiespalt, dass ich das will und zugleich nicht will. Vielleicht egal. Wir werden sehen.

Zur grundlegenden Intention vgl., wer es denn wissen wollte, https://kinonotizen.de/ueber/. Acht Jahre her, sieben davon leer geblieben. Tja.

Detroit

camerazwo Saarbrücken (Saal 3), 24.11.2017

Der Film desorientiert, mit voller Absicht. Er stürzt sich in das unübersichtliche Getümmel der Unruhen von Detroit, dass der Zuschauer in eine subjektive, nichts überschauende Perspektive eines einzelnen mitten darin gezwungen wird. Die Bilder der hyperhektischen Handkamera können Schwindel und Kopfschmerz auslösen, so physisch unmittelbar bedrängen die Bilder wie die Situation. Mindestens produzieren sie Irritation und ein Verlorensein. Weit mehr als eine halbe Stunde dauert es, bis sich aus dem Durcheinander eine Geschichte löst. Weniger hektisch wird es nicht, aber gradliniger, folgerichtiger. Die Nahsicht ist jetzt die Sicht auf einen Schauplatz. Doch hat dieses Heranzoomen seine Tücken. Das große Ganze, vorher im vielfältigen Durcheinander durchaus gestaltet, rutscht nun auch aus der indirekten Perspektive. Der Thriller verliert das Politische. Und wird dann auch ganz schön lang.

51. Internationale Hofer Filmtage

Central-Kinos / Scala / Regina, Hof, 26.-29.10.2017

Vier Tage konnte ich die 51. Hofer Filmtage besuchen, meine filmische „Heimatbasis“, zum zweiten Mal ohne ihren Gründer Heinz Badewitz, zum ersten Mal unter der vollen Verantwortung des neuen künstlerischen Leiters Thorsten Schaumann. Der Wechsel hat zu keinem Bruch geführt, als altgedienter Hofer mag ich, vielleicht darob etwas konservativ, auch nicht einstimmen in die von manchen geäußerte Skepsis, es ändere sich sogar zu wenig. Mir schienen die Neu- und Erstlinge noch mehr im Vordergrund zu stehen als ohnehin, und die ‚Bestandspflege‘ etwas zurückzutreten; vielleicht ist diese Beschreibung aber auch schon überzeichnet. Ohnehin ist jede individuelle Filmauswahl natürlich immer nur ein kleiner Teil vom ganzen und zwangsläufig verzerrend.

Die Hofer Filmtage sind immer noch sehr ausdrücklich ein Festival ohne Wettbewerb, aber Preise gibt es inzwischen schon einige. 51. Internationale Hofer Filmtage weiterlesen

Nachträge

So war das ganz bestimmt nicht gedacht: dass ich diese Kinonotizen nach gerade einmal drei Beiträgen wieder einschlafen lassen würde. Es hatte dann ein paarmal die Zeit gefehlt, rasch nach einem Kinobesuch ein paar Eindrücke niederzuschreiben; und je mehr Zeit verging, je öfter ich schon nicht geschrieben hatte, desto eher blieb es natürlich liegen. Sicher, ich bin in den elf Monaten, das verstrichen sind, zu Zeiten auch gar nicht viel im Kino gewesen; im ganzen sicher unterdurchschnittlich. Aber es hätte immer noch genügend Abende gegeben, über die sich eine kleine Notiz hätte anfertigen lassen. Um einen Strich für einen Neuanfang zu ziehen, will ich als Liste, nur gelegentlich mit einem kleinen Kommentar, versuchen zusammenzutragen, worüber ich in dieser Zwischenzeit nicht geschrieben habe. Ich fange mal an, und das soll dann noch ergänzt werden. Nachträge weiterlesen

American Honey

Babylon Kreuzberg B, Berlin, 26.11.2016

In Saarbrücken muss man schnell sein mit aktuellen Kinofilmen, was nicht Mainstream ist oder anderweitig außergewöhnlich gut läuft, ist nach einer, spätestens zwei Wochen schon wieder aus dem Programm verschwunden oder auf kaum nutzbare Nebenzeiten abgeschoben. Am Wochenende in Berlin gewesen, habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, dass das dort doch immer noch ziemlich anders ist, und mir Andrea Arnolds vielgelobten „American Honey“ angesehen, den ich schon versäumt glaubte.

Mit der Geschichte, mit den Protagonisten würde ich mir schwer tun, über lange zweieinhalb Stunden zumal: diese Drückerkolonne, wo das Spektrum reicht von einfach unreif bis zu ernsthaft sozial gestört. Und doch: was für ein Film! Mit welchen Mitteln er es genau bewerkstelligt – sicher die nie zur Ruhe kommende Handkamera, ihre Nähe, ihr An- und Ausschneiden; und das Schauspiel, im positivsten Sinne hemmungslos, unmittelbar. So physisch, so sinnlich, so direkt ist Kino jedenfalls ganz selten, Leos Carax konnte das manchmal auch, sonst fällt mir kaum etwas Vergleichbares ein. So entwickelt sich aus der Form ein Sog, der die Geschichte um das Streben nach dem kleinen Stück vom Glück aus der Banalität erhebt, ihr die Würde und Bedeutung gibt; selbst dann, wenn die Anknüpfung zur Identifikation ganz fehlt.

Der Kontrakt des Zeichners

achteinhalb, Saarbrücken, 10.11.2016

Mittlerweile eine zweite Reihe von „Meilensteinen der Filmgeschichte“ bietet das Saarbrücker Programmkino achteinhalb an, und schon ärgerlich häufig habe ich mir daraus Vorführungen entgehen lassen, die doch sehr schön Wiederbegegnungen oder gar erstmalige Erkundungen großer Filmkunstwerke auf der Leinwand ermöglichen. Der Rundgang dieser Saison ist schon so weit der Gegenwart, oder zumindest der eigenen Kino-Biographie, nahegekommen, dass ich nicht auf weit entlegene Klassiker blicke, sondern auf Filme, die ich schon fast gesehen haben könnte, als sie neu waren. Doch stecken gerade in diesem „fast“ womöglich besonders viele Lücken, drohte das unmittelbar Vorausgehende doch leicht übersprungen worden und auch retrospektiv nicht in den Blick gekommen zu sein. So ist für mich Peter Greenaway zwar ein berühmter Name, aber habe ich irgendeinen seiner Filme vor „Der Koch, …“ auch gesehen? (Gut, so sehr viele spätere auch nicht …) Den für sein Werk wahrscheinlich archetypischen ersten langen Spielfilm „Der Kontrakt des Zeichners“ jedenfalls noch nie, was nun nachzuholen schöne Gelegenheit bestand.

Der Plot ist im Grunde der reine Irrsinn, Der Kontrakt des Zeichners weiterlesen

50. Internationale Hofer Filmtage

Central / City / Classic / Scala / Regina, Hof, 27.-30.10.2016

Es ist auf jeden Fall stimmig, diese „Kinonotizen“ mit einem Bericht von den 50. Internationalen Hofer Filmtagen beginnen zu lassen, denn mit den Hofer Filmtagen hat der Hofer Gymnasiast, der der Schreiber dieser Zeilen einmal war, Kino und Film als etwas, das mehr sein kann als bloße Unterhaltung, zuallererst entdeckt. 1988, die 22. Ausgabe, nur zwei Filme beim ersten Mal, kein deutscher darunter, die doch traditionell im Mittelpunkt stehen, sondern Agnieszka Hollands „To Kill a Priest“ und dem noch viel härteren australischen Gefängnisdrama „Ghosts … of the Civil Dead“, dessen berühmtester Mitwirkender Nick Cave mir seinerzeit noch rein gar nichts sagte. Seither habe ich von 28 weiteren Jahren nur zwei ausgelassen, einmal weil weit verreist, und unter unglücklichen Umständen ausgerechnet das vergangene, das sich als das letzte Festival unter der Leitung von Heinz Badewitz erweisen sollte. Reumütig war es dann also auch noch, wenn ich nun zur Jubiläumsausgabe wieder anreiste. Viele Jahre hatte ich die Filmtage als akkreditierter Berichterstatter besucht. Diesmal musste ich nach langer Zeit mal wieder sehen, was ich an Karten bekomme, aber das ging mit weniger Frustrationen ab als befürchtet; das Publikumsfestival Hof ist im großen und ganzen wirklich auch praktisch gut zugänglich (obwohl am Ende fast jede von mir besuchte Vorstellung rappelvoll ausverkauft war). „Der Hund begraben“ von Sebastian Stern wurde als Geheimtipp gehandelt, und das kann ich nur so weitergeben, denn der ging so gut weg, dass ich zu den zwei in Frage kommenden Terminen keine Karte mehr bekam.

Allzu gut nachgefragt waren bemerkenswerterweise auch einige Programme der Retrospektive, die diesmal den Filmtagen selbst gewidmet war. 50. Internationale Hofer Filmtage weiterlesen

Kinonotizen

Anfang der 90er, als ich begann, mich ein wenig ernsthafter mit Filmen und Kino zu beschäftigen, legte ich einen Ringbuch-Ordner an: „Kinonotizen“. Für eine Zeitlang kamen nach jedem Kinobesuch ein, zwei Seiten kariertes Schreibpapier dazu, auf denen ich eine Inhaltsangabe und Eindrücke festhielt. Schon nach ein paar Monaten wurden die Einträge unregelmäßiger, nach drei Jahren waren sie ganz versiegt. Doch je öfter ich mich selbst bei Filmen, von denen ich sehr wohl noch weiß, dass ich sie sehr gut befand, trotzdem kaum noch an Einzelheiten zu erinnern weiß: desto mehr scheint es mir lohnend und reizvoll, die Erlebnisse mit Filmen doch wieder schriftlich festzuhalten. Und vielleicht nicht nur für mich auf Blättern in einem Ringbuch, sondern, zeitgemäß (?),  in einem Medium, das einen Raum für Widerhall und Kommunikation schafft.
Was freilich zwiespältig ist, denn „Texte publizieren“ will ich eigentlich nicht. Ich habe auch schon Filmkritiken geschrieben; das hier müssen, sollen, brauchen keine werden, jedenfalls nicht in einem Sinn, der formale Standards aufwirft und eine gewisse Poliertheit, Ausformuliertheit, Abgeschlossenheit verlangt. Es darf ein wenig hingerotzt sein, ungeschliffen, wenn nicht manchmal gar ungeschlacht. Subjektiv sowieso, das ist natürlich jede Kritik genauso, aber auch in dem Sinn, dass es mal sachfremd werden kann.
Vor allem aber eben so, dass es nebenbei geschrieben werden kann, auf die Schnelle, mal sehr kurz und rasch, mal quasselnder; nicht unbedingt als: Text, den man publizieren würde …